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03.
Dezember
2019

Der Entscheid von Reykjavik

Unterdessen sind drei Jahre vergangen. 2016, mit 28 Jahren hatte ich beschlossen, aus einem laufenden Vertrag auszusteigen und meine Laufbahn als Fussballprofi freiwillig zu beenden. Freunde und Bekannte fragten mich verwundert, wieso. «Wieso so früh?» «Einen Traumberuf einfach so aufgeben?!» «Du bist doch jung und gesund!» Andere reagierten voller Verständnis.

Gerne gebe ich an dieser Stelle, drei Jahre danach, einen Einblick, was ich zu diesem Zeitpunkt in meiner Seele, meinem Herz und meinem Verstand spürte. Eine Version dieses Textes habe ich übrigens damals bereits verfasst und habe diesen nun mit meinen neuen Erkenntnissen überarbeitet:

Der Gedanke an ein vorzeitiges Beenden meiner Karriere schwirrte schon lange durch meinen Kopf. Mal öfter, mal seltener. Mal laut, mal leise. Der Moment der endgültigen Entscheidung, der Sprung in die Befreiung, erreicht mich dann dennoch plötzlich und unerwartet. 

“In einem Hotelzimmer in Reykjavik vor einem Europa-League-Qualifikationsspiel fälle ich den definitiven Entschluss, meine Profikarriere zu beenden. Eine Klarheit, die mich leichter macht und im selben Moment sehr schmerzhaft ist. Wie bei einer Liebesbeziehung die zu Ende geht. ”

Nach dem Abschluss der Karriere ist die Distanz zum täglichen Fussballbusiness Balsam für Geist und Seele. Ich bekomme plötzlich einen anderen Blick auf meine Karriere. Dinge werden klarer, ich lasse Gedanken zu, die zuvor keinen Platz hatten.

Vor meinem inneren Auge reise ich an bestimmte Momente zurück, zu all den grossen und kleinen Highlights meines Lebens als Fussballprofi, aber auch zu den Augenblicken des Scheiterns auf dem Platz, an die Sekunden an denen mich die Selbstzweifel überfordern, klein werden lassen oder an die Tage nach schlechten Leistungen, die mich von innen auffressen.

Im Alter von vier Jahren hatte mein Projekt «Ich werde Fussballprofi» begonnen. Freude an Spiel und Ball, unbändiger Wille, Leidenschaft im Training, Vision vom Sprung an die Spitze und die Lust, die Konkurrenz zu dominieren, prägen diese Zeit; die klassischen Jugendthemen werden dadurch nebensächlich. Ich schliesse die Matura ab, doch ehrlich gesagt kümmere ich mich nie um eine Alternative. Es gibt nur einen Weg, und auch dank dieser Klarheit geht mein Bubentraum mit 18 Jahren in Erfüllung. Die Leidenschaft wird zum Beruf. Ein grosses Geschenk!

“Ich verspüre tiefe Dankbarkeit, dieses Ziel, das so viele verfolgen, erreicht zu haben. Und ich will mich an dieser Stelle auch an alle unglaublich schönen Momente zurückerinnern, die mir der Sport gegebenen hat.”

Auf der anderen Seite steht die Härte, die ich schon zu Beginn meiner Laufbahn zu spüren bekomme. Wie sich die jugendliche Unbeschwertheit zunehmend mit dem Business vermischt. Ich verdiene nun Geld für meine Leistungen, erhalte mehr Aufmerksamkeit, und die Erwartungen von allen Seiten nehmen zu. Der Druck kommt von Aussen und Innen und nimmt schleichend seinen Platz neben der Verspieltheit und Leidenschaft ein.

Ich mache mich also auf die Suche nach Wegen und Methoden, die Lockerheit von früher auch ins Profigeschäft zu übertragen. Am besten jedes Wochenende.

Die Tricks aus Ratgebern sind unzählig und vielseitig. Als Erstes versuche ich es mit dem Abschotten vom Rest des Teams. Jeweils 30 Minuten vor dem Einlaufen ziehe ich mich in kleine, versteckte Ecken in den Katakomben der Stadien zurück, widme mich mit dem bewussten Atmen und zahlreichen Körperaktivierungsübungen. Dazu versuche ich meine Gedanken zu steuern und Gefühle bei starken Spielen und freudigen Ereignissen nochmals nachzuempfinden.

Später lese ich das Buch „The Secret“ von Rhonda Byrne, das beschreibt, wie das persönliche Denken und die eigenen Gedanken am Ursprung von all unseren Zielen steht. Und so stelle ich mir vor jedem Spiel eine Pipeline zum jeweiligen Stadion vor.

Durch diese Pipeline lasse ich mir etliche Dinge zum Fussballplatz bringen: Symbole für Spielfreude und -übersicht, Kraft oder einen Ballmagneten, den ich mir dann imaginär an die Füsse befestige. Ich verliere in diesem Spiel keinen Ball. Manchmal lasse ich mir auch vorsorglich eine gute Bewertung im Blick liefern. Jedes Mittel ist mir recht, um eine gute solide Leistung auf den Platz zu bringen.

“Alle diese Tricks wirken und verleihen mir jeweils einen grossen Schub. Allerdings nur kurzfristig. Spiele ich zunächst locker und befreit auf, werde ich nach einiger Zeit quasi immun gegen die eigenen Ablenkungsmethoden. Die erschlichene Lockerheit verblasst wieder. ”

Trotz der regelmässigen Grübelei verbringe ich eine wunderbare Zeit beim FC Thun. Die nationalen und europäischen Leistungen machen mich stolz und lassen sogar den Wunsch nach einer neuen Herausforderung - am liebsten im Ausland - aufkommen. Doch die Vorstellungen zerschlagen sich. Ich bin ein halbes Jahr arbeitslos und lande schliesslich beim ehemaligen Glamourclub Grasshopper Club Zürich.

Während der Zeit bei GC gelingt es mir noch zweimal Lockerheit und Freude heraufzubeschwören. Ein Mentalcoach empfiehlt, mir beim Einmarsch ins Stadion und bei heiklen Situationen mein vierjähriges Ich auf meiner linken Schulter vorzustellen. Dieses soll mir jene Unbeschwertheit zurückbringen, die ich hatte, als ich mit dem Fussballspielen begann. Auch dieser Effekt verpufft aber bald im Nichts.

Ich finde die Leichtigkeit ich in dem Moment, in dem ich den Entschluss fasse, meine Laufbahn zu beenden. Ich sage mich los vom Fussball. Die psychische Last, die nach dem Entscheid in Reykjavik von mir abfällt, ist für mich sogar physisch spürbar. Es ist die grösste Erleichterung in meinem ganzen Leben. Ich beschliesse zu studieren und nehme einen Teilzeitjob als Kellner in einem Café an. Und ich geniesse mein neues Leben.

“Manchmal werde ich heute noch bei der Arbeit oder bei der Ausbildung erkannt. Mutig sei meine Entscheidung gewesen, bekomme ich auch heute noch oft zu hören. Für mich jedoch war es nichts als die logische Konsequenz.”

Der Rückzug aus dem Profi- Fussball war das Loslassen meines Bubentraums und der Schritt hin zum Zulassen des Lebens.

Im Blog «Ungefiltert» erzählen Athletinnen und Athleten in ihren eigenen Worten aus ihrem Leben. Sie sprechen über Siege und Niederlagen, über schöne und über schwierige Momente, über das Hinfallen und über das Aufstehen. Die Athletinnen und Athleten bilden das vielfältige Gesicht des Schweizer Sports ab und zeigen, was den Sport so wertvoll macht.