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03.
Oktober
2023
(Swiss Basketball)

«Um es mit Russel Westbrook zu sagen: Why not?»

Boris Mbala, 27 Jahre alt, hat in seinen Vereinen und mit der Schweizer Nationalmannschaft zahlreiche Erfolge erzielt. Dabei wusste er bis zum Alter von zwölf Jahren nicht einmal, dass es Basketball überhaupt gibt. Hier spricht er mit uns über seine Entwicklung, seinen Wunsch, etwas weiterzugeben, und seine Philosophie – die ihn jetzt nach Litauen geführt hat.

«21. August 2019. Montreux. Mit der Schweizer Mannschaft treten wir gegen Island an. Das Spiel ist entscheidend. Um die Qualifikation für die EM 2021 zu erreichen, müssen wir unseren Gegner des Abends mit mindestens 20 Punkten Vorsprung schlagen. Island ist eine hochklassige Mannschaft, die uns im ersten Aufeinandertreffen besiegt hat. Wir fangen schlecht an: Nach wenigen Minuten liegen wir 7 Punkte zurück.  

Ich verteidige gegen Martin Hermannsson, einen sehr guten Spieler der Euroleague, dem prestigeträchtigsten Wettbewerb des Kontinents. Ich verteidige sehr gut, aber er wirft trotzdem einen Korb nach dem anderen. Zum Glück holen wir nach und nach auf und gehen sogar in Führung. Manchmal hat man das Glück, Spieler wie Clint Capela an seiner Seite zu haben. Auf der Position, die er in der NBA hat, ist er einer der besten der Welt. Das hilft. Aber natürlich ist er nicht allein: Wir machen vor allem ein grossartiges Mannschaftsspiel.  

Wir sind kurz vor dem Spielende. Die Spannung ist gross, es ist sehr laut, viele Zuschauer sind da. Ich stehe allein vor dem Korb. Ich habe zwei Freiwürfe. Wird es uns gelingen, unseren 20-Punkte-Vorsprung zu halten? Wenn mir die Freiwürfe gelingen, ist es so gut wie sicher, dass wir unser Ziel erreichen. Ich atme tief ein und werfe – und treffe. Mission erfüllt.  

“Ich habe alles gegeben, der Druck fällt von mir ab – und mir kommen die Tränen.”

Wenige Augenblicke später haben wir 109:85 gewonnen. Mit 24 Punkten Vorsprung! Die Stimmung ist unglaublich. Wir haben es geschafft. Vor dem Spiel hätte dies niemand für möglich gehalten. Und noch dazu sind wir zu Beginn der Partie schlecht ins Spiel gekommen. Wer zu diesem Zeitpunkt Geld auf uns gesetzt hätte, hätte sicher sehr gute Quoten bekommen.  

Ich muss mich erst einmal hinsetzen. Es ist heiss, es ist sehr emotional, ich bin müde, ich habe alles gegeben, der Druck fällt von mir ab – und mir kommen die Tränen. Meine Teamkollegen kommen und trösten mich. Ein schöner Moment. Mit 23 Jahren erlebe ich einen der grössten Momente meiner Karriere.  

Wenn man bedenkt, dass ich elf Jahre zuvor noch nicht einmal wusste, was Basketball ist... 

Boris Mbala (Nr. 2), Clint Capela (15), Roberto Kovac (9) und ihre Teamkollegen haben das Spiel gegen Island nach einem Fehlstart gewonnen: was für Emotionen! (Swiss Basketball)

Boris Mbala (Nr. 2), Clint Capela (15), Roberto Kovac (9) und ihre Teamkollegen haben das Spiel gegen Island nach einem Fehlstart gewonnen: was für Emotionen! (Swiss Basketball)

Die Kälte der Schweizer Winter 

Ich wurde 1996 in Jaunde, der Hauptstadt Kameruns, geboren. Dort hatten wir in der Schule keinen Sportunterricht. Der einzige Sport, den ich betrieb, war Fussballspielen, wie fast alle Kinder. Ich war nie in einem Verein, sondern spielte mit meinen Freunden oder Cousins. Als ich 2008 mit 12 Jahren zu meiner Mutter und meinem Stiefvater in die Schweiz kam, spielte ich weiterhin Fussball, nun aber in einem Verein. Doch dann zeigte mir mein Stiefvater Basketball. Er spielte selbst und war ein Fan von Fribourg Olympic. So habe ich angefangen, mich für diesen Sport zu interessieren, zu den Spielen zu gehen – und auch selbst zu spielen. Eine Zeit lang habe ich gleichzeitig Fussball und Basketball gespielt.  

“Nach dem Fussballtraining waren meine Hände so eiskalt, dass ich meine Schnürsenkel nicht mehr öffnen konnte.”

Wenn ich sagen müsste, warum ich mich letztlich für Basketball entschieden habe, könnte ich es wohl mit einem einzigen Wort erklären: Winter. Die Kälte der Schweizer Winter hat meine Entscheidung beschleunigt. Nach dem Fussballtraining waren meine Hände so eiskalt, dass ich meine Schnürsenkel nicht mehr öffnen konnte. Das hat es mir ein wenig «verleidet», in Anführungszeichen. Mir waren beheizte Hallen eindeutig lieber.  

Am Anfang war ich nicht sehr gross, aber ich hatte schon einige körperliche Qualitäten. Das hat mir geholfen, schnell Fortschritte zu machen. Aber ich bin nicht eines Morgens aufgestanden und habe gedacht, dass ich Profi-Basketballer werden will. All das kam nach und nach.  

Nach meinen ersten Jahren in Afrika hatte ich einen gewissen schulischen Rückstand, im Grunde stand mir ein Job bevor, in dem man mit den Händen arbeitet – Maurer oder ähnliches. Ich beschloss also, ein weiteres Jahr in der Sekundarschule zu verbringen, um eine Klasse höher zu kommen und in einen Sportstudiengang aufgenommen zu werden. Ich sagte mir: Man muss dranbleiben. Es funktionierte, meine Leistungen reichten aus, und ich wurde in die Akademie von Fribourg Olympic aufgenommen. Dort begann ich mit etwa 16 Jahren in der Nationalliga B zu spielen.  

Ich kann mich noch genau daran erinnern, als ich in die erste Mannschaft kam. Eines Tages trainierte ich neben ihnen, sie spielten 5 gegen 5. Plötzlich wurde Roberto Kovac wütend und ging vom Platz. Jetzt waren sie nur noch zu neunt. Der Trainer, Petar Aleksic, bat mich daraufhin, Kovacs Platz einzunehmen. Etwa eine Woche später informierte mich Aleksic: «Ab jetzt spielst du bei uns.» Eine Anekdote: Bei meinem letzten Spiel für Fribourg Olympic im Jahr 2023, direkt nach dem Gewinn der Meisterschaft, bedankte ich mich bei Kovac, als ich vor der vollen Halle das Wort ergriff. Ein bisschen habe ich den Beginn meiner Karriere auch ihm zu verdanken.  

“Ein bisschen habe ich den Beginn meiner Karriere auch ihm zu verdanken.”
Boris Mbala und Trainer Petar Aleksic nach dem Gewinn der Schweizer Meisterschaft mit Fribourg im Juni 2023 (Keystone-SDA)

Boris Mbala und Trainer Petar Aleksic nach dem Gewinn der Schweizer Meisterschaft mit Fribourg im Juni 2023 (Keystone-SDA)

Nach dieser Episode gewann ich nach und nach das Vertrauen von Trainer Aleksic. Ich bekam hier und da ein paar Minuten Spielzeit. Einige Jahre später ernannte er mich sogar zum Mannschaftskapitän.  

Wenn mich begeisterte junge Menschen heute fragen, wie sie es mir gleichtun können, würde ich als Erstes sagen: Es ist harte Arbeit. Vermutlich war ich physisch und technisch talentiert, aber es war immer noch viel – sehr viel – Arbeit. Ich glaube, dass man zuhören können muss. Wenn dir neue Leute Ratschläge geben, musst du nicht unbedingt jeden Rat annehmen, aber man muss zumindest zuhören, mit viel Respekt. Man muss auch geduldig sein, und seine Chance ergreifen, wenn sie sich zeigt. Ich glaube, dass diese Chance auf jeden Fall kommt, wenn man hart arbeitet. 

Der Wunsch, etwas weiterzugeben 

Als Teenager nahm ich fünf Jahre lang am Sommercamp von Thabo Sefolosha teil, der viele Jahre in der NBA gespielt hatte. Leider haben wir danach nie in einer Mannschaft gespielt. Dafür habe ich vor Kurzem gegen ihn gespielt, als er nach Vevey zurückgekehrt ist.  

Thabo Sefolosha und Boris Mbala im Abstand von zehn Jahren – während eines Sommercamps (links)

Thabo Sefolosha und Boris Mbala im Abstand von zehn Jahren – während eines Sommercamps (links)

und nach einem Spiel der Nationalliga A (rechts) (zVg)

und nach einem Spiel der Nationalliga A (rechts) (zVg)

Inzwischen habe ich auch mein eigenes Basketball-Sommercamp in Bulle im Kanton Freiburg gegründet. Die Idee ging mir schon lange im Kopf herum. Nach all diesen Jahren in der A-Liga, an der Seite von Petar Aleksic und anderen, bin ich gewachsen und habe viel gelernt. Ich wollte meine Erfahrungen weitergeben und dachte mir: «Warum nicht?» Die Stadt hat sich bereit erklärt, uns Räume zur Verfügung zu stellen. Und wir konnten auch einige Sponsoren für uns gewinnen. Ich wollte, dass dieses Camp für jeden zugänglich ist.  

In der Westschweiz ist der Basketball im Aufschwung, die Nachfrage seitens Nachwuchs ist sehr gross. Leider haben einige Vereine nicht genug Platz für alle. 2023, bei der zweiten Ausgabe unseres Camps, kamen rund 150 Kinder und Jugendliche über zwei Wochen hinweg zu uns. Ich war zufrieden. 

Boris Mbala während seines Sommercamps, 2023 in Bulle (Swiss Olympic)

Boris Mbala während seines Sommercamps, 2023 in Bulle (Swiss Olympic)

(Swiss Olympic)

(Swiss Olympic)

Meine emotionale Seite 

Was meine Karriere betrifft, so habe ich mich entschlossen, Freiburg zu verlassen. In all diesen Jahren habe ich mich ständig weiterentwickelt, und ich wollte nicht stehen bleiben. Anfang der Saison 2022/23 hatte ich mich daher entschieden, einen weiteren Schritt zu machen – ins Ausland zu gehen. Leider habe ich anfangs zu viel darüber nachgedacht und schlecht gespielt. Also beschloss ich, einen Life Coach aufzusuchen, um herauszufinden, was mich blockierte, und um einen kleinen Schritt weiter zu kommen. Wir kamen zu dem Schluss, dass mein Hauptproblem mit meiner «emotionalen» Seite zusammenhing. Wenn ich einen Fehler machte oder ein Spiel schlecht begann, konnte man mir das direkt ansehen und ich spielte nicht gut. Dem Trainer gefiel das gar nicht. Meine Körpersprache war nicht gut. Ich war Kapitän und einer der Führungsspieler der Mannschaft, doch auch meine Teamkollegen sahen das. 

Ich habe die anderen nie angeschrien. Wenn ein Mitspieler mir dreimal hintereinander nicht den Ball zuspielt, reisse ich ihm nicht den Kopf ab. Ich ärgere mich eher über mich selbst, bin frustriert und ziehe mich zurück. Daran musste ich arbeiten.  

“Wenn du auf das Spielfeld gehst, geht es nur darum, Spass zu haben und zu spielen.”

Ausserdem konzentrierte ich mich viel zu sehr auf bestimmte Ziele. Ich schrieb sie auf und sagte mir beispielsweise: Ich muss 15 Punkte pro Spiel machen. Mein Life Coach sagte mir: «Nein, du darfst dich davon nicht überwältigen lassen, das wird dich blockieren. Du musst dich frei fühlen. Wenn du auf das Spielfeld gehst, geht es nur darum, Spass zu haben und zu spielen.» Das hat mir geholfen. Mein neues Ziel war es, Kontrolle über diesen Aspekt zu bekommen und positiv und konzentriert zu bleiben. Ich hatte einen sehr guten Saisonabschluss und wurde bester Werfer meines Teams. Kaum zu glauben, dass ich vor einigen Jahren vor allem ein defensiver Spieler war...

Halbfinale 2023 der Schweizer Meisterschaft: Topscorer Boris Mbala erzielt einen weiteren Korb (Keystone-SDA)

Halbfinale 2023 der Schweizer Meisterschaft: Topscorer Boris Mbala erzielt einen weiteren Korb (Keystone-SDA)

10’000 andere Spieler, die dich ersetzen können

Seit ein paar Wochen spiele ich in Litauen für den Verein BC Gargzdai in der ersten Liga. Im Basketball ist es sehr schwierig, aus der Schweiz herauszukommen. Im Ausland ist unsere Liga nicht sehr hoch angesehen. Als ich das Angebot bekam, fiel mir die Wahl also ziemlich leicht, damit hatte ich nicht gerechnet. Die erste Liga in Litauen ist sehr hochklassig. Mehrere Teams nehmen an europäischen Wettbewerben teil, insbesondere an der Euroleague. Das Niveau liegt deutlich über dem in der Schweiz. 

Ich habe meine Komfortzone komplett verlassen. Das habe ich schon einmal getan, als ich für eine Saison von Freiburg nach Monthey wechselte. In Litauen ist das anders: Ich bin ein ausländischer Verstärkungsspieler, ich habe eine andere Rolle, einen ganz anderen Druck. Wenn du als Ausländer nicht gut spielst, warten 10’000 andere Spieler, die dich ersetzen wollen. Es ist auch eine andere Basketballkultur. Ich werde noch viel entdecken und lernen, was mir helfen wird, Fortschritte zu erzielen. Ich kann es kaum erwarten. Auch wenn ich weiss, dass es schwer werden wird.  

Als ich jünger war, hatte ich zwei Vorbilder in der NBA: Kobe Bryant, weil er der damalige Star und sehr stark war, aber auch Russell Westbrook, weil mir seine Spielweise gefiel. Daher habe ich Westbrooks Philosophie übernommen. Er sagt oft: «Why not?», warum nicht? Wenn du es nicht versuchst, wirst du nie erfahren, ob du es schaffen kannst.  

Heute weiss ich, dass sich weitere Türen öffnen können, wenn ich eine grossartige Saison in Litauen spiele. Und warum auch nicht?» 

(Swiss Basketball)

(Swiss Basketball)

Aufgezeichnet von Fabio Gramegna, Medienteam Swiss Olympic

FTEM Schweiz: Der Idealverlauf einer sportlichen Karriere 

5 Meisterschaften, 4 Schweizer Cups, 4 SuperCups und 3 Ligapokale: Swiss Olympic und seine Mitgliedsverbände arbeiten täglich daran, dass Talente wie Boris Mbala kontinuierlich Fortschritte machen und in ihren Sportarten solche Erfolge erzielen können. Hierfür stützt sich der Schweizer Sport auf ein gemeinsames Konzept namens «FTEM». Es definiert die ideale Entwicklung der Sportlerinnen und Sportler von der Phase «Foundation» (F) (Fundament, Grundlagen, Basis) über die Phasen «Talent» (T) und «Elite» (E) bis hin zur Phase «Mastery» (M) (Weltklasse). Mehr zum Konzept «FTEM» finden Sie hier.  

Ungefiltert – Geschichten aus dem Schweizer Sport

Offen gesagt: Im Blog «Ungefiltert» erzählen Persönlichkeiten aus dem Schweizer Sport in eigenen Worten von aussergewöhnlichen Momenten und prägenden Erfahrungen. Von Siegen und Niederlagen, im Leben und im Sport. Wir freuen uns über Inputs für gute Geschichten, gerne auch die eigene: media@swissolympic.ch