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«Ein Leben ohne Eishockey kann ich mir nicht vorstellen»
Luca Wyss, 24, ist mit Herz und Seele Eishockeyprofi beim SC Langenthal in der Swiss League. Nun zieht sich sein Heimatclub aus finanziellen Gründen ins Amateurhockey zurück und der einstige Junioren-Nationalspieler Wyss braucht einen neuen Arbeitgeber. Seine Zukunft als Profi ist ungewiss, die Optionen sind beschränkt. Und jetzt?
«Ich bin nicht nur Spieler, sondern auch Fan des SC Langenthal. Jetzt zieht sich mein Club vom Profibetrieb zurück. Das trifft mich deshalb doppelt.
Wie es mit meiner Karriere als Profi-Eishockeyspieler weitergeht, ist offen. Im Moment habe ich keinen Vertrag für die neue Saison. Ich bin auf der Suche nach einem neuen Club, das gestaltet sich noch etwas kompliziert. Mein Agent Heinz Schneider und ich stehen mit ein paar Vereinen aus der Swiss League in Kontakt. Heinz hat gute Kontakte zu den Sportchefs, doch wir hörten oft: Es ist zu früh, wir müssen warten, wie sich die Lage in der Liga entwickelt. Ob von NL-Clubs, die nun mit sechs statt bislang vier ausländischen Spielern spielen dürfen, noch Schweizer Spieler freiwerden, die für den Swiss-League-Markt in Frage kommen. Und nun, da die Playoffs laufen, heisst es: Jetzt verhandeln wir nicht. Wir schauen dann nach Saisonende weiter.
Die Playoffs. Die Essenz des Eishockeys, jeder Spieler liebt diese Wochen. Auch dieses Jahr, trotz der misslichen Situation, war die Vorfreude riesig, vielleicht noch etwas grösser, weil ich wusste, dass es zum letzten Mal mit Langenthal sein würde. Und wir unbedingt noch etwas reissen wollten. Wir als Team – aber natürlich auch ich als Spieler. Während der Club quasi zur letzten Kür vor dem Rückzug ansetzte, ging es für mich um meine Zukunft als Profispieler. Die Playoffs sind die beste Bühne, um seinen eigenen Marktwert zu steigern. Natürlich ist das eine Drucksituation. Aber der Zusammenhalt im Team war so stark, das half mir sehr. Dann, unmittelbar vor Playoffstart gegen den ewigen Derbyrivalen Olten, erwischte es mich. Die Grippe, ich lag tagelang mit Fieber im Bett und verpasste die ersten drei Spiele. Am Ende dauerten meine persönlichen Playoffs 9 Minuten und 38 Sekunden, soviel Eiszeit hatte ich im einzigen Spiel, bei dem ich mittun konnte. Out im Viertelfinal, das endgültige für Langenthal, und für mich keine Skorerpunkte und noch kein Vertrag. Aber ich bin zuversichtlich, dass es klappen wird und meine Karriere weitergeht.
Der Schock vom 7. Dezember
Der Schock für uns Spieler kam am 7. Dezember 2022. Natürlich hatten wir vernommen, dass verschiedene Szenarien zur Zukunft des Clubs diskutiert werden. Dass das marode Stadion und das strukturelle Defizit den Club vor Probleme stellten. Aber ein Rückzug, das schien unvorstellbar. Langenthal, das ist doch eine Top-Adresse in der Swiss League, drei Meistertitel in den letzten zehn Jahren! Als wir dann als Team versammelt dasassen und die Verantwortlichen uns über den Entscheid – Rückzug aus dem Profibetrieb per Ende Saison – informierten, wurde es sehr still. Ich dachte: Das kann nicht wahr sein. Und die Blicke meiner Mitspieler rund um mich herum sagten dasselbe. Das hat schon sehr wehgetan.
Ich war 3, als der SCL in die Nationalliga B aufstieg und ich erste Schritte auf dem Eis ging. Ich war 14 und SCL-Junior und feuerte in der Fankurve Streetside das Team an, bis ich keine Stimme mehr hatte, als der SCL zum ersten Mal den Titel in der National League B gewann, wie die Liga mittlerweile hiess. Ich war 20 und stürmte nun selber an der Seite meiner Idole, als der SCL zum dritten Mal Meister der zweithöchsten Liga wurde, jetzt mit Namen Swiss League. Und nun halt dieser Chlapf a Grind. Die Bilder dieser Etappen gingen mir durch den Kopf, wie in einem Film. Es gibt kein Happy End.
Wenn das Telefon stumm bleibt
Unsere besten Spieler, vor allem jene mit vielen Skorerpunkten, erhielten schon am nächsten Tag erste Anrufe von interessierten Clubs. Ich selber hatte eine schwierige Saison mit wenigen Punkten. Ich weiss auch nicht recht, woran es liegt. Als Stürmer sind die Punkte die Währung, an der dich die meisten messen. Bei mir kamen keine Anrufe.
Es dauerte rund zwei Wochen, bis ich die Botschaft verdaut hatte. Dazwischen lagen Tage der Leere. Ich wusste gar nicht, was ich denken sollte, fühlte mich schlecht. Zum Gefühl der Enttäuschung mischte sich Wut, ich war hässig, weil ich das Gefühl hatte, dass es doch Alternativen zu diesem drastischen Schritt geben musste. Ich wäre ja sicher noch ein, zwei Jahre hiergeblieben als Spieler.
Einmal flackerte noch etwas Hoffnung auf, weil Gerüchte die Runde machten, dass ein paar Sponsoren den Profibetrieb retten wollten. Doch schnell wurde klar, es ist bloss ein Gerücht, der Entscheid definitiv.
Ich gebe nie auf. Auch wenn meine Karriere sich in den letzten drei Jahren anders entwickelt hat als erwartet. 2019 war ich 19 und auf direktem Weg nach oben. Ich war soeben mit Langenthal B-Meister geworden, spielte mit der U20-Junioren-Nationalmannschaft die WM in Kanada. Im Viertelfinal schoss ich das Tor zum 2:0 gegen das übermächtige Schweden, wir zogen in den Halbfinal ein und ich dachte an die NHL. Ich spielte danach eine Saison bei der EVZ Academy, um mehr Verantwortung zu übernehmen und mich weiterzuentwickeln. Wir haben fast alle Spiele verloren und ich etwas die Freude. Ich realisierte, dass der Teamgeist, das Familiäre und der totale Wille, den ich in Langenthal immer erlebt hatte, nicht selbstverständlich ist. Also kehrte ich heim, zurück zu meinem Club. Und blühte wieder auf. Die Punkte, die ein Stürmer so dringend braucht, sie blieben aber rar. Dann machst du dir viele Gedanken. Meine Freunde im Team halfen, sie sagten mir, es bringt nichts, darüber zu viele Gedanken zu verlieren. Also bleibe ich zuversichtlich.
Zweiklassengesellschaft
Februar 2023, die Zukunft ist ungewiss. Ein Leben ohne Eishockey kann ich mir nicht vorstellen. Das Leben in der Garderobe mit deinen Teamkollegen, die zu Freunden werden, gerade in Langenthal, gemeinsam gewinnen und gemeinsam verlieren, die Intensität dieser Emotionen: Hockey ist so geil, vom Siegen wirst du süchtig. Mein Karriereziel ist dasselbe geblieben, die National League. Zwei Spiele durfte ich als Leihspieler letzte Saison schon machen, für die Tigers aus Langnau, gegen Ambri gelang mir ein Tor.
Mein nächster Schritt liegt aber in der Swiss League, hier gehöre ich zurzeit hin. Doch die Liga ist aus dem Gleichgewicht geraten. Ihr gehen die Clubs aus und es ist eine Zweiklassengesellschaft geworden. Nur die Top-Teams zahlen Löhne, von denen man als Vollprofi leben kann. Da bleiben nicht viele Optionen. Aber es gibt sie. Und wer weiss, vielleicht wird mir das auch gut tun, dass ich gezwungen werde, mein Langenthal zu verlassen, wo ich alles und jeden kenne. Ein Neustart als Chance.
Ich wohne noch bei meinen Eltern, in Melchnau neben Langenthal, 5 Minuten vom Stadion. Schon mein Vater spielte Eishockey beim SCL. Doch ich will nun mein eigenes Ding machen, eine eigene Wohnung und so. Wobei es finanziell halt hilft, noch zuhause zu wohnen. Mein Lohn ist für einen Profi eher bescheiden. Auch deshalb arbeite ich nebenher ein bis zwei Nachmittage die Woche in einem Büro eines Bauunternehmens, da erledige ich einfache Aufgaben. 2019 hatte ich meine KV-Lehre abgeschlossen, zudem habe ich die Feusi-Schule gemacht, kann jederzeit die Berufsmatur absolvieren. Ich bin froh, habe ich neben dem Eishockey eine Grundausbildung, aber Gedanken über eine berufliche Zukunft habe ich mir bislang keine gemacht. In meinem Kopf gab es bisher nur die Karte Eishockey, da blendet man ungemütliche Fragen auch mal aus.
Und wenn es jetzt nicht klappt mit einem Profivertrag in Basel oder Visp oder La Chaux-de-Fonds oder sonst wo in der Swiss League? Dann bleibe ich in der Heimat und spiele weiterhin Eishockey in Langenthal, im Amateurhockey der MyHockey League. Oder nebenan, bei Huttwil in derselben Liga, dort ist mein Bruder Goalie. Vor allem muss ich dann einen Job suchen. Oder eine Ausbildung machen. Am liebsten im Sport.
Ich bin schon angespannt. Aber so oder so: Ich werde weiterhin an Spiele des SC Langenthal im Schoren gehen. Hoffentlich nur als Fan.»
Aufgezeichnet von Pierre Hagmann, Medienteam Swiss Olympic
Ein weiterer Rückschlag für die Swiss League
Der SC Langenthal, gegründet 1946, hat seinen Rückzug aus dem Profibetrieb mit fehlenden Perspektiven in der Stadionfrage begründet. Die aktuelle Eishalle Schoren ist baufällig, ein Neubauprojekt ist gescheitert. «Der professionelle Betrieb in der Swiss League ohne entsprechende Eissportinfrastruktur und ohne zusätzliche finanzielle Mittel kann nicht garantiert werden», schrieb der Club dazu. Der freiwillige Abstieg ist ein weiterer Rückschlag für die zweithöchste Liga im Schweizer Eishockey, welche seine Rolle zwischen Profisport und Ausbildungsliga sucht und nach dem Rückzug von Langenthal nur noch 9 Teams (Zielgrösse 12) umfasst. Für nächste Saison haben Martigny und Arosa Interesse am Aufstieg angemeldet, ausserdem erhält die Liga eine Finanzspritze von 1,5 Millionen Franken von National League und Verband.
Ungefiltert – Geschichten aus dem Schweizer Sport
Offen gesagt: Im Blog «Ungefiltert» erzählen Persönlichkeiten aus dem Schweizer Sport in eigenen Worten von aussergewöhnlichen Momenten und prägenden Erfahrungen. Von Siegen und Niederlagen, im Leben und im Sport. Wir freuen uns über Inputs für gute Geschichten, gerne auch die eigene: media@swissolympic.ch