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Plötzlich Ex-Profi: «Da kommst du auf die Welt»
Marco Schönbächler war 31, als seine Fussball-Karriere unerwartet zu Ende ging. Auf einmal hiess sein Alltag RAV statt Rasen, und die Frage liess sich nicht länger verdrängen: Was kommt danach? Hier erzählt er von grossen Hemmschwellen und neuen Sicherheiten beim langwierigen Übergang in die Nachsportkarriere.
«Es gab nie einen Plan B. Ich hatte keine Ahnung, was ich sonst kann und will. Mein Leben lang gab es nur den Traum vom Profi-Fussballer beim FC Zürich, die Frage nach dem Danach hatte ich verdrängt, auf später vertagt. Vielleicht, weil früh klar war, dass es zum Profi reichen würde. Vielleicht auch, weil es eine ungemütliche Frage war, die mich mit dem Ende meines Traums konfrontierte. Und mit dem unguten Gefühl, zu wissen, dass ich nicht wusste, was folgen könnte. Jaja, dachte ich jeweils, ich habe ja noch paar Jährli. Heute bereue ich das. Du weisst nie, wann es endet, das sag ich heute jedem jungen Profi. Ich bin ein zuversichtlicher, stabiler Mensch und habe das Glück, dass die Turbulenzen, die folgten, mich nicht aus der Bahn warfen. Das Potenzial für einen Absturz ist aber beträchtlich.
Es war drei Tage vor Trainingsstart im Frühsommer 2021, als mich der damalige Sportchef des FC Zürich zu einem Gespräch aufbot. Ich hatte in der Saisonpause wie üblich trainiert und war heiss auf die neue, meine 15. als Profi beim FCZ. Als Treffpunkt schlug er eine kurioserweise eine Raststätte vor, ich hatte aber kein Auto, also trafen wir uns auf der Geschäftsstelle. Dort traf mich der Schlag: Aus und vorbei, es gibt keinen Platz und keinen Vertrag mehr für Marco Schönbächler beim FCZ. Es fiel mir schwer, diesen Entscheid zu verstehen, und es sollte eine Weile dauern, bis ich die Folgen realisierte. Drei Monate vorher hatten wir über die anstehende Vertragsverlängerung gesprochen, die Signale waren positiv. Dann dieser schmerzhafte Schock, der mich völlig unvorbereitet traf. Am Ende ist es halt knallhartes Business.
So vieles hatte ich mit diesem Club erlebt, grosse Zeiten und Scheisszeiten, Meister, Champions League, Abstieg, Aufstieg, andere Angebote hatte ich alle ausgeschlagen, auch aus dem Ausland, mir war diese Identifikation mit meinem Club, die Verbindung mit den Fans viel wert. Als kleiner Junge spielte ich in Urdorf und träumte nicht vom Ausland, sondern vom FC Zürich.
Mit 17 hatte ich den Traum verwirklicht. Nie hätte ich gedacht, dass ich schon mit 31 aufhöre im Profifussball. Plötzlich ist der Tag da. Die Super League ist eine Ausbildungsliga, sie bildet Junge aus und verkauft sie gewinnbringend weiter, das ist der einzige Weg, um Geld zu verdienen in dieser Liga. Mit 31 bist du langsam alt. Das ist vielleicht, wie wenn du 57 bist im normalen Arbeitsleben.
Nach dem FCZ-Ende hielt ich mich fit und prüfte die Alternativen. Es gab finanziell lukrative Angebote aus Osteuropa, einige aus der Schweiz, aber das passende Gesamtpaket, es kam nicht. Destinationen wie Basel oder GC waren für mich als ewiger FCZ-Spieler ohnehin tabu.
Irgendwann, rund ein Jahr nach jenem Treffen mit dem Sportchef, wusste ich plötzlich: Das wars. Es stimmt so für mich. Fertig Fussball. Nun türmte sich die grosse Frage auf: Was jetzt?
Gefangen im gewohnten Denkmuster
Meine Berufung war der Fussball, eine zweite nicht in Sicht. Da nützte mir die KV-Lehre, die ich als Teenager auf der Geschäftsstelle beim FCZ absolviert hatte, auch nicht viel weiter. Meine neue Realität hiess bald RAV. Arbeitslosigkeit. Mich da anzumelden, verlangte einiges an Überwindung. Doch der richtig schwierige Teil kam erst: selbst aktiv werden, auf die Leute zugehen, um Unterstützung bitten, das eigene Netzwerk aktivieren, anfragen, ob man mal schnuppern könnte hier oder da. Das war eine grosse Hemmschwelle, und ich weiss, dass es vielen Ex-Profis so geht. Dein Fussballerleben lang wollen alle etwas von dir, Fans, Sponsoren, Clubs – und plötzlich ist es umgekehrt. Ich spürte eine gewisse Scham.
Einige Zeit war ich in diesem Denkmuster gefangen – die Leute kommen dann schon auf dich zu und bieten dir etwas an. Weil es immer so war im Leben. Und es war der Weg des geringsten Widerstands. Doch es passierte nicht. Irgendwann musst du über den Schatten springen.
Ich habe diverse Beratungen besucht, vom RAV aus, aber auch beim «Athletes Network», einer Berufsberatung spezifisch für Sportler, und überall hiess es: als Ex-Fussballprofi bringst du zwar keine klassische Ausbildung mit, aber andere, in der Privatwirtschaft geschätzte Qualitäten. Die mentale Stärke etwa, den Teamgedanken, die Leistungsbereitschaft – und ein grosses Netzwerk. Aktiviere dein Netzwerk!
Plättli legen im Padel Club
Bald hat sich eine erste Türe geöffnet. Zusammen mit zwei Kollegen, darunter Ebenfalls-Ex-FCZ-Profi Adrian Winter, wagten wir den Schritt ins Unternehmertum: Wir entschlossen uns, in Rüti, in der Nähe von Zürich, eine Padeltennis-Halle aufzubauen. Es wurde dann die grösste der Schweiz. Das war viel learning by doing, Immobiliensuche, Verhandlungen, Business Plan, Umbauen, Bodenheizung, Plättli legen, Gastro, Marketing, das ganze Programm. Wir waren Fussballer und hatten keine Ahnung, vieles haben wir selbst gemacht.
Letztes Jahr war die Eröffnung des Padel Sports Club, es läuft gut. Unsere Bekanntheit hat sicher geholfen, um die Halle medial bekanntzumachen. Auch da war es plötzlich umgekehrt: Jahrelang wollten die Medien immer etwas von uns, nun gingen wir auf sie zu. Das Netzwerk eben.
Dieser Aufbau war superspannend und herausfordernd, aber als der reguläre Betrieb dann startete, wurde mir schnell klar, dass ich noch etwas anderes machen und lernen möchte. Ich musste wieder meine Hemmschwelle überspringen. Und stellte schnell fest: Wenn ich auf die Leute zugehe, mit einer gewissen Demut und echtem Interesse, stosse ich auf offene Türen. Mit negativen Klischees, dem einfältigen Fussballer etwa, bin ich noch nicht konfrontiert worden.
Ich durfte an verschiedenen Orten schnuppern, bei einer Marketingagentur etwa oder einer Interior-Design-Firma. Und bei der Immobilienfirma eines Bekannten, in der Vermarktung. Daraus entstand ein Praktikum, drei Monate, und daraus eine Festanstellung, 70 Prozent. Seit Januar bin ich unbefristet angestellt – zum ersten Mal in meinem Leben. Als Fussballer kennst du nur den befristeten Arbeitsvertrag, damit ist immer Druck verbunden und manchmal Unsicherheit. Das vermisse ich nicht.
Der Kick am Wochenende hilft
Heute bin ich 1,5 Tage pro Woche im Padelcenter und ansonsten am Schwimmen im kalten Wasser als Neuling in der Immobilienbranche. Im Fussball wusste ich alles, im neuen Job weiss ich wenig, aber ich frage halt. Die Truppe im Büro ist toll, sie haben Geduld. Mails schreiben, Rechtschreibung, strukturiertes Schaffen – kannst du alles ignorieren als Fussballer. Als Profi wird dir fast alles im Leben abgenommen, jetzt muss ich mal selbst schauen. Da kommst du gewissermassen auf die Welt. Aber die Umstellung im Leben, sie ist gross. Ein paar Beispiele:
Zeit: Der Tag hat plötzlich zu wenige Stunden, vor allem im Winter. Das ist schon ein riesiger Unterschied.
Ich musste lernen, früher ins Bett zu gehen und früher aufzustehen. Als Profi kam der Schlaf nie zu kurz, und die Freizeit auch nicht. Nun bleibt wenig Zeit für anders. Das finde ich etwas schade. Aber ich weiss, es ist das normale Leben, das die allermeisten ihr ganzes Erwachsenenleben so kennen, ich begegne dem sehr demütig. Aber die Umstellung ist herausfordernd, ich kenne einige Ex-Profis, die in ein Burnout geraten sind. Zuerst hast du viel Geld und viel Zeit, und dann fällt beides weg.
Geld: Es ist eine etwas sonderbare Konstellation, mit 34 zu wissen, dass ich nie mehr an den Lohn meines jüngeren Ichs herankommen werde. Aber erstens hab ich nicht in Saus und Braus gelebt. Zweitens hat mein Marktwert nie meinen Selbstwert definiert. Es ist ein Neuanfang, du beginnst mit einem gewöhnlichen Praktikantenlohn, das ist okay und so haben alle anderen auch gestartet. Ich habe auch etwas auf der Seite. Aber ich möchte mir schon etwas Neues aufbauen und mir wieder einen guten Lohn erarbeiten.
Identität und Selbstwert: Zum Glück ist mein Selbstwertgefühl nicht davon unabhängig, ob mir tausende zujubeln, wenn ich ein Tor geschossen habe. Ich bin der gleiche Mensch wie zuvor, mit den gleichen Werten und der gleichen Einstellung zum Leben. Und der Fussball bleibt immer Teil meiner Identität. Gerade in Zürich werde ich nach wie vor auch als Fussballer Marco Schönbächler wahrgenommen und angesprochen. Ich bin nicht mehr Held oder der Buhmann der Fans, je nach Wochenende, aber das hat meine Identität auch nie definiert. Wobei ich den Kontakt mit den Fans immer sehr geschätzt habe, diese Nähe zu den Menschen meiner Stadt ist und bleibt eben auch Teil meiner Identität.
Körper und Bewegung: Wenn du dich früher täglich draussen bewegt hast wie ein Irrer, ist diese Umstellung kompliziert. Einerseits fehlt mir die Bewegung, auch im Büro, da stehe ich regelmässig auf und gehe etwas umher. Andererseits verstehe ich nun jeden, der Mühe hat, nach einem langen Arbeitstag die Energie zu finden, um noch Sport zu machen. Aber es ist so wichtig, auch für die Psyche. Da reicht eine kurze Runde joggen. Und ich spiele noch Fussball bei meinem Jugendclub, FC Urdorf, 2. Liga, einmal Training die Woche, Spiel am Wochenende. Da staune ich schon, wie die Beine einfach nicht mehr machen, was du lange von ihnen gewohnt warst. Du setzt zum Sprint an, im Kopf und technisch ist alles noch da, aber die Kraft fühlt sich nun an wie ein laues Lüftchen. Beim Essen muss ich jetzt auch etwas schauen, kleinere Brötchen backen. Als Fussballer verbrennst du so viel, da kannst du fast essen, wieviel du willst.
Intensität und Emotionen: Dass ich weiterhin Fussball spielen kann, ist entscheidend und hilft mir sehr in diesem Übergang ins neue Leben. So habe ich am Wochenende weiterhin den Kick. Eigentlich ist es egal, welche Liga: Du spielst Fussball, willst gewinnen, gehst durch die intensiven Emotionen auf dem Platz, gemeinsam mit den Jungs aus meinen Heimatdorf, die mich früher angefeuert haben. Und nach dem Spiel nehmen wir ein Bier in der Garderobe, wenn wir verlieren, ists auch nicht so schlimm. Als Profi spielst du vor vielen Leuten, natürlich ist das intensiver, aber du hast ständig Druck, von dir selbst, von den Fans, Medien, von überall. Das ganze Leben dreht sich nur darum; wenn du gewinnst, ist alles gut, sonst gibt’s wieder Krisensitzungen.
Jetzt bin ich 34, offiziell habe ich mein Karriereende nie verkündet. Wenn jetzt noch ein Angebot aus Saudi Arabien kommt… nein, dieses Kapitel ist geschlossen. Ich gehe heute gerne arbeiten, aber die Übergangsphase zwischen Profi- und Nachsportkarriere läuft noch. Wohin will ich? Es kann noch ein paar Jährchen dauern, bis ich die Antwort wirklich kenne. Vielleicht braucht es dann noch eine Ausbildung. Aber das ist in Ordnung, es geht ja noch 31 Jahre bis zur nächsten Pension.
Aufgezeichnet von Pierre Hagmann, Medienteam Swiss Olympic
Berufsberatung für Spitzensportler*innen: Der Athlete Hub von Swiss Olympic
Swiss Olympic unterstützt Athletinnen und Athletinnen in Fragen zu dualer Karriere, Beruf und Ausbildung mit spezifischen, kostenfreien Beratungsangeboten. Besonders Wert legt der Athlete Hub dabei auf eine frühzeitige Planung der Nachsportkarriere. Mehr Informationen: Swiss Olympic - Nachsport
Die im Artikel erwähnte Organisation Athletes Network ist eine eigenständiges Beratungsfirma, die partnerschaftlich mit dem Athlete Hub zusammenarbeitet.
Ungefiltert – Geschichten aus dem Schweizer Sport
Offen gesagt: Im Blog «Ungefiltert» erzählen Persönlichkeiten aus dem Schweizer Sport in eigenen Worten von aussergewöhnlichen Momenten und prägenden Erfahrungen. Von Siegen und Niederlagen, im Leben und im Sport. Wir freuen uns über Inputs für gute Geschichten, gerne auch die eigene: media@swissolympic.ch