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Akzeptieren, dass man gut ist
Mentale Blockaden und Motivationsprobleme hinderten den Westschweizer Kayakfahrer Martin Dougoud lange, sein ganzes Potenzial auszuschöpfen. Dann entdeckte er die Hypnose. Eine persönliche Geschichte über Hindernisse im Wasser und im Kopf.
«Vier Jahre lange hatte ich mich auf die Olympischen Spiele 2021 in Tokio vorbereitet – und war dann doch nicht bereit. Am Tag des Wettkampfs wusste ich nicht, warum ich da war und was mich an meinem Sport begeistert. Es fehlte der entscheidende Funke. Natürlich entsprach das Ergebnis dann nicht meinen Erwartungen. Ich war sehr enttäuscht.
Zwei Jahre später: 1. Juli 2023. Ich fühle mich gut. Ich empfinde Stress, aber es ist positiver Stress. Ich weiss, was ich tun muss: loszulassen, mich zu befreien. Dadurch kann der Funke freigesetzt werden. Ich starte im Finale des Kanu-Slaloms bei den European Games in Krakau. Nach mir werden nur noch zwei Teilnehmer starten. Wenn ich diesen Lauf auf dem ersten Platz beende, ist mir eine Medaille sicher.
Die Disziplin Slalom ist ein bisschen wie Skifahren. Ziel ist es, so schnell wie möglich den Fluss hinunterzufahren und dabei Tore zu durchqueren. Auf geht’s! Ich komme nicht sehr gut vom Start weg, jedenfalls nicht so, wie ich es mir gewünscht habe. Aber das ist mir egal, denn ich habe solche Situationen im Training geübt: Wenn mir eine Figur nicht wie geplant gelingt, Pech gehabt, umschalten und weitermachen, nach vorne schauen. Ich bin ganz im Moment und habe keinen einzigen negativen Gedanken. Ich stelle mir keine Fragen.
Ich überquere die Ziellinie. Ich sehe etwas Grünes, meinen Namen und die Zahl -0,20. Ich liege um zwanzig Hundertstel vorne. In meinem Gehirn wird die Verbindung sofort hergestellt: Ich erhalte eine Medaille in einem europäischen Wettbewerb! Ich explodiere förmlich vor Freude. Thomas Koechlin, mein Teamkollege aus der Schweizer Nationalmannschaft, hat es ebenfalls verstanden. Er springt ins Wasser, um mich in die Arme zu nehmen.
Ich bin jetzt 32 Jahre, es ist der grösste Erfolg meiner bisherigen Sportkarriere. Meist erreichen Athleten ihren Höhepunkt früher. Ich selbst brauchte mehr Zeit, um zu lernen und Fortschritte zu machen. Aber ich bereue diesen Weg nicht, ganz im Gegenteil. Auch wenn es Höhen und Tiefen gab.
Auf und Ab
Im Alter von sechs Jahren habe ich mit dem Kanufahren begonnen. In der Juniorenklasse und später in der U23 gehörte ich nicht zu den Besten, ich war durchschnittlich. Allerdings habe ich mich auch nicht ausschliesslich meinem Sport gewidmet. Ich habe eine Lehre als Uhrmacher gemacht und dann eineinhalb Jahre lang in einer Vollzeitstelle gearbeitet. Zwei Trainingseinheiten am Tag zu absolvieren und 45 Stunden pro Woche zu arbeiten war kompliziert: Ich machte wenig Fortschritte und hatte kaum ein Leben neben Arbeit und Sport.
Irgendwann wurde mir klar, dass es nicht mehr möglich war, beides unter einen Hut zu bringen. Also beschloss ich, meine Tätigkeit als Uhrmacher aufzugeben und in die französische Stadt Pau zu ziehen, um alles auf das Kajakfahren zu setzen. Dort sind die Infrastruktur und die Trainingsbedingungen ideal. Dadurch konnte ich schnell Fortschritte machen – vor allem auf körperlicher und technischer Ebene. Leider war der dunkelste Teil für mich immer noch der mentale Aspekt. Ich erlebte ein fortwährendes Auf und Ab: Mal war ich gut, dann wieder nicht, mal war ich sehr motiviert, mal unmotiviert. Wie bei den Olympischen Spielen in Tokio.
Die Monate nach Tokio waren sehr schwierig für mich. Ich habe mich selbst in Frage gestellt. Warum fahre ich Kajak? Was begeistert mich an diesem Sport? Geht es darum, zu gewinnen, mit Freunden zusammen zu sein oder vielleicht auch nur darum, auf dem Wasser zu sein? Ich sagte zu meinem Trainer: «Ich kann so nicht weitermachen. Entweder ich finde eine Lösung, bei der es Klick macht – um zu verstehen, warum meine Leistung und auch der Spassfaktor so unkonstant sind –, oder ich höre auf.»
Zu diesem Zeitpunkt, gegen Ende 2021, erzählte mir jemand von jemandem, der Hypnose praktizierte. «Das möchte ich unbedingt ausprobieren», antwortete ich sofort. Ich hatte bereits mit einem Mentaltrainer gearbeitet, das hatte mir geholfen, mein Selbstwertgefühl zu stärken – um mich davon zu überzeugen, dass ich in der Lage war, zu den Besten in meiner Disziplin zu gehören. Aber ich konnte mit ihm keine weiteren Blockaden mehr aus dem Weg räumen. Ich musste etwas anderes versuchen.
«Martins Unterbewusstsein»
Also begann ich mit Hypnose. Ich erinnere mich noch an eine der ersten Sitzungen. Ich sitze bequem, schliesse die Augen, nehme drei tiefe Atemzüge, um ganz im Hier und Jetzt zu sein, in diesem Raum. Ich bin nicht völlig abwesend oder in schlafähnlicher Trance, wie es manchmal mit dem Begriff «Hypnose» assoziiert wird. Ich muss mir vorstellen, dass ich einen Basketball in meinen Händen halte. Mein Therapeut beginnt, Glaubenssätze aufzuzählen – negative wie positive. Das Gefühl, das sich einstellt, ist seltsam, ich nehme eine Art Verbindung an meinen Fingerspitzen wahr, wie eine Wärmequelle. Wenn die Aussagen negativ sind, schrumpft der Ball in meiner Wahrnehmung. Sind sie positiv, wird der Ball grösser. Parallel dazu öffnen oder schliessen sich unbewusst meine Hände, je nachdem, was ich höre. Das ist ziemlich verrückt. Am Ende der einstündigen Sitzung bin ich völlig erschöpft und frage: «Und was mache ich jetzt?» Er antwortet: «Lass es einfach geschehen, dein Unterbewusstsein arbeitet und schickt dir wertvolle Informationen, positive Schwingungen.»
Generell spricht mich mein Therapeut nicht immer direkt an; er wendet sich vielmehr an mein Unterbewusstsein: «Unterbewusstsein von Martin, ich bitte dich zu akzeptieren, dass Martin gut auf dem Wasser ist, dass er hier ist, um Spass zu haben, sich zu freuen, mit seinen Freunden zusammen zu sein. Ich bitte dich, ihn so zu akzeptieren, wie er ist: Er macht das gerne, er liebt diesen Sport.» Ich weiss, dass sich das ein wenig anhört, als wäre er ein Guru, aber so ist es nicht. Ich denke, wenn du offen für Hypnose bist und dich dafür interessierst, akzeptiert dein Gehirn bereits einen Teil des Veränderungsprozesses. Das war bei mir der Fall.
Aufhören? Auf keinen Fall!
Rückblickend habe ich den Eindruck, dass die Hypnose mir geholfen hat, zwei grosse Blockaden zu lösen: mein Gefühl der Legitimität in Bezug auf meinen Sport und meine tieferen Beweggründe. Lange Zeit fiel es mir, wenn ich gefragt wurde, was ich beruflich mache, sehr schwer zu sagen, dass ich Spitzensportler bin und dass das mein Beruf ist. Ich fühlte mich wie von der Realität der meisten Menschen abgekoppelt. Sie sagten zu mir: «Ach, okay, du fährst Kajak, aber was machst du sonst noch?» Jetzt habe ich es akzeptiert und kann antworten: «Das ist mein Leben. Das ist das, was ich tue. Daneben lese ich und betreibe manchmal auch anderen Sport.» Ich habe jetzt das Gefühl, dass ich meinen Platz gefunden habe, und weiss, dass ich mit jedem konkurrieren kann. Innerhalb von etwa fünf Jahren bin ich in der Weltrangliste von Platz 150 auf Platz 6 aufgestiegen. Ich glaube, das reicht als Beweis aus.
Ein weiterer Punkt, der mich sehr belastete, waren meine Motivationstiefs. Oft war es so, dass ich während der Wintervorbereitung hypermotiviert war und bei jedem Training alles gab. Wenn die Wettkampftage kamen, im Sommer, fühlte ich mich plötzlich wie geistig ausgelaugt, ich hatte keine Lust mehr, dabei zu sein. Ich träumte vielmehr davon, mit Freunden in den Urlaub zu fahren. Das ist jetzt nicht mehr so. Ich bin mental viel konstanter und habe wirklich verstanden, warum ich diesen Sport betreibe und warum ich jeden Tag trainiere. Es ist ganz einfach: Ich liebe es, auf dem Wasser zu sein, ich liebe das Boot, ich liebe es, mit Menschen zusammen zu sein. Die Leistungen und die Medaillen sind zweitrangig. Übrigens ist es lustig, dass mich nach meinen Medaillen bei den European Games und der Weltmeisterschaft 2023 mehrere Leute gefragt haben: «Denkst Du nun, nachdem Du so viel erreicht hast, ans Aufhören?» Ich habe geantwortet: «Auf keinen Fall, es ist zu schön, ich mache immer noch Fortschritte!»
Wöchentliche Meditationssitzungen
Ich denke daher, dass die Hypnose das entscheidende Element war, das ich nach den Olympischen Spielen 2021 in Tokio auf mentaler Ebene gebraucht habe. Sie hat meine Art, zu sein völlig verändert. Die erhofften Ergebnisse stellten sich ein: 2022 und 2023 hatte ich tolle Saisons. Normalerweise führe ich drei oder vier Hypnosesitzungen pro Jahr durch. Wenn ich aber merke, dass mich etwas stört, plane ich eine weitere Sitzung, wir arbeiten an bestimmten Punkten und es geht sofort ein bisschen besser.
Parallel dazu mache ich während der Wettkampfzeiten ein bis zwei Meditationssitzungen pro Woche. Das hilft mir sehr, zur Ruhe zu kommen und mich im Hier und Jetzt zu fühlen. Wir Sportler haben oft Stimmen im Kopf, die bestimmte Sätze vor oder während eines Wettkampfs immer wiederholen: «Du kannst schnell sein. Du kannst gewinnen.» Ich persönlich nenne dies die negativen Sätze, selbst wenn die Botschaften positiv sind: Wenn du sie in dein Gehirn lässt, wenn du kurz vor oder während eines Rennens an den Sieg denkst, ist es vorbei. Es klingt ziemlich banal, aber um zu gewinnen, versuche ich mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Auf das Kajakfahren – nichts anderes.
Wie es weitergeht? Wenn alles nach Plan verläuft, sollte ich für die Olympischen Spiele 2024 in Paris selektioniert werden. Nach den Spielen in Tokio, die von der Pandemie und leeren Zuschauerrängen geprägt waren, bin ich wirklich gespannt auf die Atmosphäre in Vaires-sur-Marne, wo die Kanuwettbewerbe stattfinden werden. Die Tribünen bieten Platz für 12’000 Personen und sind ausverkauft. So viele Zuschauerinnen und Zuschauer, diese Vorstellung macht mich sehr glücklich. Es verspricht ein wahres Sportfest zu werden. Es bleibt abzuwarten, wie ich mit diesem Druck, der grösser ist als sonst, umgehen werde – und welchen Beitrag ich zu diesem Fest leisten werde. Für mich bedeutet das einfach: Kajak fahren, ganz im Hier und Jetzt sein und Spass auf dem Wasser haben.»
Aufgezeichnet von Fabio Gramegna, Medienteam Swiss Olympic
Zwischen der Schweiz und Frankreich
Martin Dougoud ist ein Schweizer Kajakfahrer, der 1991 als Sohn einer französischen Mutter und eines Schweizer Vaters geboren wurde und teils in der Romandie, teils in Frankreich aufwuchs. Derzeit wohnt und trainiert er in der Stadt Pau in Frankreich. Im Jahr 2020 gewann er zusammen mit Lukas Werro und Dimitri Marx die Bronzemedaille im Team-Kajak bei der Slalom-EM. Bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio belegte er den 13. Platz. 2023 gewann er bei den European Games eine Silbermedaille im Slalom, dann eine Bronzemedaille im Cross bei der WM. Ab dem 16. Mai 2024 kämpft er bei der Kayak-EM in Slowenien um einen weiteren internationalen Erfolg.
Ungefiltert – Geschichten aus dem Schweizer Sport
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