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27.
März
2025
(Keystone-SDA)

«Es ist ein Kraftakt»

Nadja Pasternack, 28, ist die schnellste Anschieberin im Schweizer Bobsport. Auch mit der Geburt ihrer Tochter vor 15 Monaten hat sie nichts von ihrer Leidenschaft für das Bobfahren eingebüsst, doch der anstrengende Alltag fordert seinen Tribut. Nun hat sie die WM verpasst und hofft, dass in der kommenden intensiven Olympia-Saison einiges einfacher wird – und sie auch mit Baby im gleichen Hotel wie ihr Team übernachten darf. Persönliche Einblicke in das Leben als Mutter im Spitzensport.

«Nach der erneuten Nasennebenhöhlenentzündung kam die Magendarmgrippe. Und irgendwann die Erkenntnis: Mein Körper macht nicht mehr mit. Die Bob-WM diesen März in Lake Placid würde ohne mich stattfinden. Den ganzen Winter über war ich immer wieder krank. Vermutlich habe ich jeweils zu früh wieder mit dem Training begonnen, so dass sich der Körper nie richtig erholen konnte – und ich immer wieder Rückfälle hatte. Doch ich wollte es mir und allen beweisen, dass ich es auch als Mutter draufhabe. Ich war schon immer sehr wettkampforientiert, und so trotzte ich den Selbstzweifeln und Ängsten, die durch die sehr schwierige Schwangerschaft entstanden waren. Die ersten drei Monate hatte ich mich fast nur übergeben. Ab dem vierten Monat war ich wegen einem verkürzten Gebärmutterhals in Bettruhe, durfte dieses nur für das Dringendste verlassen, weil das Risiko einer Frühgeburt zu gross war. 

“Doch ich wollte es mir und allen beweisen, dass ich es auch als Mutter draufhabe.”

Nach der Geburt unserer Tochter Noélie im Dezember 2023 habe ich sechs Wochen ausgeruht, dann folgten sechs Wochen Beckenbodenübungen und einige Monate alles, was sich richtig anfühlte. Mitte Mai dann, fünf Monate nach der Geburt, startete ich wieder mit Coach und Trainingsprogramm. Die Kraft kam schnell zurück, doch im Sprinttraining ging es im wahrsten Sinn sehr langsam vorwärts. Ich hatte in der Schwangerschaft 20 Kilo zugenommen, das spürst du im Sprint auch in den Fussgelenken massiv. 

Anschieberin Pasternack beim Start an der Heim-WM in St. Moritz 2023. (Bild Keystone-SDA)

Anschieberin Pasternack beim Start an der Heim-WM in St. Moritz 2023. (Bild Keystone-SDA)

“Ich wollte, dass unsere Tochter stolz auf mich sein kann, irgendwann, wenn sie das alles versteht.”

Doch ich habe schnell bessere Resultate erzielt, als erhofft, sportlich startete mein Comeback erfreulich. Als ich im September bei den Schweizer Meisterschaften im Anschieben den Titel holte, realisierte ich: Diese Saison könnte ja doch noch was gehen – und die WM im März wurde zum konkreten Ziel. Bald wurde ich aber ein erstes Mal krank, dann ein zweites, und so kämpfte ich mich durch den Winter, durch die vielen Erkältungen und Selektionswettkämpfe, bis ich die Selektion für die WM tatsächlich geschafft hatte. Als Ende Februar die Nasennebenhöhlenentzündung wieder aufflammte und dann noch der Magen rebellierte, war Zeit, aufzugeben. Ich würde nicht in die USA reisen. Eine grosse Ernüchterung. 

Ich hätte früher auf meinen Körper hören sollen. Aber man lernt ja hoffentlich aus seinen Fehlern. Und ich wollte halt, dass unsere Tochter stolz auf mich sein kann, irgendwann, wenn sie das alles versteht. 

Grosse Freude über Rang 6 bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking: Nadja Pasternack (hinten) mit Pilotin Hasler. (Bild Keystone-SDA)

Grosse Freude über Rang 6 bei den Olympischen Spielen 2022 in Peking: Nadja Pasternack (hinten) mit Pilotin Hasler. (Bild Keystone-SDA)

“Die Leidenschaft für den Spitzensport ist ungebrochen.”

Die WM zu verpassen hatte immerhin den Vorteil, dass ich nicht mehrere Wochen von ihr getrennt wurde. Seit ihrer Geburt ist mein Leben ein anderes, aber die Leidenschaft für den Spitzensport ist ungebrochen. Ich liebe das Bobfahren, dieser Sport gibt mir wahnsinnig viel Energie und Lebensfreude. Das letzte Jahr hat mir aber auch gezeigt: Ohne diese Leidenschaft und Liebe für meinen Sport hätte ich schon aufgehört. Das Leben als junge Mutter und Anschieberin im Bob, es ist finanziell ein echter Kraftakt und ein mentaler Stress. Ich komme einfach nicht zur Ruhe. 

Der Unterschied zu vorher ist vor allem: Es bleibt weniger Zeit für die Regeneration, für mich selbst. Für Ruhe eben. 

Bitte nicht stören im Teamhotel 

Die Wettkampfsaison dauert im Bob von Oktober bis März, in dieser Zeit bist du etwa 16 Wochen unterwegs – also oft. Mein Partner und Vater meiner Tochter ist Franzose und ebenfalls Bobfahrer. 2023 war er zurückgetreten, und ursprünglich war vorgesehen, dass er mehrheitlich zum Baby schaut, während ich unterwegs bin. Mit der Perspektive von Olympischen Heimspielen 2030 entschied er sich aber zum Comeback, was die Betreuungssituation natürlich etwas erschwerte. Da aber im Bobsport die Männer und Frauen meist am gleichen Ort Wettkämpfe austragen, hat das den Vorteil, dass wir oft zusammen mit unserer Tochter unterwegs sein können. Ein Nachteil ist, dass ich mein Baby im Schweizer Teamhotel nicht dabei haben darf. Der Verband Swiss Sliding lehnt das ab mit der Begründung, dass es die anderen Teammitglieder stören könnte. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, zumal wir die Hotels ja nicht allein für uns gebucht haben, und es auch andere Gäste mit Kindern hat. Auch meine Teamkolleginnen und -kollegen, um die es ginge bei der vermeintlichen Störung, verstehen die Regel nicht. Es ist ja nicht so, dass sie im gleichen Zimmer mit einem Baby schlafen müssten. 

Jedenfalls hat das zur Folge, dass ich dann ständig zwischen Teamhotel und meinem privat gebuchten Hotel hin und her pendeln muss. Denn Bobsport ist Teamsport, meine Pilotin Melanie Hasler und ich haben einen Bob, um den wir uns kümmern müssen. Der steht normalerweise in der Garage des Schweizer Hotels, das bedeutet viel Garagenarbeit, die jeden Tag anfällt, Kufen schleifen, Spur einstellen, Bob fetten und polieren und solche Sachen, wir machen das alles selbst. Ich fahre also zuerst ins Schweizer Hotel, um uns gemeinsam auf das Training oder den Wettkampf vorzubereiten, dann zur Bobbahn, von dort zurück ins Schweizer Hotel, bevor ich dann wieder zurück ins eigene Hotel zum Baby kehre. Später steht vielleicht ein Physio-Termin oder eine Video-Analyse an, also fahre ich wieder ins Schweizer Hotel. Und dann wieder zurück. Am Ende des Tages bleiben null Minuten für sich selbst mit dieser logistischen Zusatzbelastung. Vorher fand ich zwischendurch eine Stunde, in der ich einfach im Bett liegen und ausruhen konnte, das fehlt nun. Wobei das unabhängig von der Teamhotel-Situation natürlich ganz anders ist mit einem Baby, und unser Teamchef macht alles, was er kann, um mich zu unterstützen, dafür bin ich mega dankbar. Die Sache mit dem Hotel verkompliziert die Dinge einfach zusätzlich, und für den Teamspirit ist es auch nicht ideal. Denn auf diese Weise abgegrenzt zu werden vom eigenen Team, das tut niemandem von uns gut. Auch darum hätte ich mich auf die WM in Lake Placid gefreut, denn ohne Baby hätte ich richtig viel Zeit mit Melanie und den anderen im Team verbringen können.  

Es wäre eine Erleichterung, hier gleichbehandelt zu werden wie die anderen im Team, gerade auch in der strengen Olympia-Saison. Im Olympischen Dorf sind die Kinder der Athletinnen und Athleten willkommen, es gibt spezielle Angebote für Mütter und Väter. Auch bei anderen Landesverbänden geht es problemlos. Im Team USA etwa sind drei junge Mütter mit ihren Kleinkindern im Teamhotel dabei, und auch mein Freund darf mit unserem Kind im französischen Teamhotel logieren. Immer wieder kommt es vor, dass die Schweizer und Franzosen im gleichen Teamhotel sind, dann haben wir die etwas absurde Situation, dass er ja dürfte mit Kind, ich aber nicht, und wir deswegen doch eine andere Unterkunft organisieren müssen.  

Ein Leben ohne Rast: Pasternack/Hasler auf der Bahn im deutschen Altenberg. (Bild Keystone-SDA)

Ein Leben ohne Rast: Pasternack/Hasler auf der Bahn im deutschen Altenberg. (Bild Keystone-SDA)

Hinzu kommt, dass ich mich auch privat um die Buchung der eigenen alternativen Unterkunft kümmern muss, für uns drei, aber auch ein zusätzliches Zimmer für die Betreuungsperson, die mitreist, sei es eine Freundin oder meine Schwiegereltern oder eine Nanny. Die Unterkunft im Teamhotel läuft hingegen über den Verband. Dieser zahlt mir den Anteil, der im Teamhotel für mich vorgesehen wäre, die Differenz geht auf meine Kosten. 

Geld ist knapp im Bobsport. Besonders bei den Frauen, besonders als Anschieberin. Im Sommerhalbjahr arbeite ich nebst dem täglichen Training Vollzeit als Freelancerin im Bereich Client Support, die Kleine war da drei Tage die Woche in der Kita. Im Winter konzentriere ich mich dann ganz auf den Sport. Ich erhalte je nach Ranking gewisse Prämiengelder vom Verband und ein Taggeld von meiner Pilotin Melanie. Ohne die grosszügige Unterstützung in der Höhe von 18‘000 Franken der Schweizer Sporthilfe ginge es aber nicht. Zum Glück habe ich auch noch einen privaten Sponsor gefunden, aber Sponsorengelder bleiben ein rares Gut, und das Leben mit Kleinkind wird nicht günstiger. 

“Geld ist knapp im Bobsport. Besonders bei den Frauen, besonders als Anschieberin. ”

Die Freuden und Sorgen vor der Olympia-Saison 

Die entspanntesten Tage seit der Geburt waren jene während der Saison, an denen wir nicht unterwegs, sondern zuhause in Grenoble waren. Unsere Tochter war von Montag bis Donnerstag in der Kita, ich konnte trainieren, in der Comebacksaison war es ein Training pro Tag, daneben bleibt Zeit für Physio und Haushalt und Spaziergänge mit dem Hund. 

Kommende Saison ist Olympia-Saison, nun vermischen sich riesige Vorfreude mit Selbstzweifeln, denn in der Olympia-Saison ist immer alles intensiver und anstrengender. Wie gelingt uns die ganze Organisation mit einem Kleinkind? Wie komme ich zu genug Erholung und Geld? Und vor allem: Werde ich schnell genug sein? 

Ich bin aktuell sicher noch nicht ganz auf dem Niveau von vor der Geburt. Ein Direktvergleich hat mir gezeigt, dass ich noch Zweizehntel langsamer bin als in der Olympiasaison 2022. Mein Gewicht ist aktuell 79 Kilo, das sind noch vier mehr also vor der Geburt. Ich fühle mich superwohl in meinem Körper, abgesehen vom vielen Kranksein zuletzt, aber ich will noch etwas Gewicht verlieren, um schneller zu werden. 

Nach Peking 2022 ist vor Milano Cortina 2026: Nadja Pasternack mit Melanie Hasler. (Bild Keystone-SDA)

Nach Peking 2022 ist vor Milano Cortina 2026: Nadja Pasternack mit Melanie Hasler. (Bild Keystone-SDA)

Ab nächster Saison werde ich wieder zweimal täglich trainieren und im Sommer idealerweise nur Teilzeit arbeiten, um mich bestmöglich auf Olympia vorzubereiten. Unser Ziel ist es auch, eine Nanny zu finden, die uns den ganzen Winter begleitet, damit wir unterwegs eine konstante Bezugsperson für unsere Tochter dabei haben, wenn wir selber nicht zu ihr schauen können. Das mindert den mentalen Stress auch, unsere Tochter in vertrauten Händen zu wissen, wenn wir beide im Training oder Wettkampf sind. 

“Ich will dieses Leben.”

Dieser konstante mentale Stress war wohl ein Grund dafür, dass ich ständig krank war. Nun ist Zeit, auszukurieren und neue Energie zu tanken und aus den bisherigen Erfahrungen zu lernen, für die zweite Saison als Spitzensportlerin und Mutter. Denn ich will dieses Leben. Die Prioritäten sind seit Geburt unserer Tochter etwas anders gelagert, aber das heisst nicht, dass der Sport für mich an Bedeutung verloren hat. Schon als ich den positiven Schwangerschaftstest in den Händen hielt – ich hatte soeben die beste Saison meiner Karriere – war neben der riesigen Freude einer meiner ersten Gedanken: Hoppla, das ging jetzt schnell. Aber es wird Platz haben für beides. Das Wunschkind soll kommen, und der Sporttraum soll bleiben.»

Aufgezeichnet von Pierre Hagmann, Medienteam Swiss Olympic

Von der Rekord-Speerwerferin zur Olympia-Sechsten im Bob 

Nadja Pasternack stammt aus Hamburg und zog 2008 mit ihrer Mutter in den Kanton Zürich. Als sie 2016 eingebürgert wurde, war sie in der Leichtathletik tätig, sie hielt damals den Schweizer Rekord im Speerwurf. 2018 wechselte sie in den Bobsport, heute bildet die Anschieberin mit Pilotin Melanie Hasler das schnellste Zweierbob-Team bei den Schweizer Frauen. Zu den grössten Erfolgen des Duos zählt der 6. Rang bei den Olympischen Winterspielen 2022 in Peking, ein Vize-Europameistertitel 2023 sowie mehrere Weltcup-Podestplätze. Nadja Pasternack wohnt zusammen mit ihrer Tochter und ihrem Partner, dem französischen Bobfahrer Romain Heinrich, in Grenoble in den französischen Alpen. 

Das sagt Swiss Sliding zu den Baby-Regeln in Schweizer Teamhotels 

Marina Gilardoni, Chefin Leistungssport beim Bobverband: «Wir unterstützen Nadja auf dem Weg zurück in den Spitzensport und finden es toll, dass sie diesen Weg geht als Mutter. Gleichzeitig haben wir ihr frühzeitig kommuniziert, dass bei Swiss Sliding die Policy gilt, dass Athletinnen und Athleten nicht mit Kindern im Teamhotel logieren können. Wir wollen damit sicherstellen, dass sich unsere Team-Mitglieder zu 100 % auf den Sport konzentrieren können. Ein Kleinkind bringt gerade während der Wettkampfphase potenziell Unruhe in den Teambetrieb. Wir haben aber Nadjas Wunsch, dass dies künftig möglich wird, im jährlichen Athletengespräch Mitte März entgegengenommen und werden die Situation intern noch einmal anschauen.» 

 «Frau und Spitzensport»: Unterstützung von Swiss Olympic 

Swiss Olympic setzt sich im Rahmen des Projekts «Frau und Spitzensport» für die Optimierung der Rahmenbedingungen aller Athletinnen ein, gerade auch in der Schwangerschaft und Mutterschaft. Alle Informationen dazu findest du hier: Swiss Olympic - Frau und Spitzensport 

Ungefiltert – Geschichten aus dem Schweizer Sport

Offen gesagt: Im Blog «Ungefiltert» erzählen Persönlichkeiten aus dem Schweizer Sport in eigenen Worten von aussergewöhnlichen Momenten und prägenden Erfahrungen. Von Siegen und Niederlagen, im Leben und im Sport. Wir freuen uns über Inputs für gute Geschichten, gerne auch die eigene: media@swissolympic.ch