Zurück Zurück zur Übersicht
11.
Oktober
2024

«Niemand sagt, du musst jetzt, aber ich will halt immer»

Sarina Fux (27) aus dem Wallis zählt zu den besten Leichtkontakt-Kickboxerinnen der Welt. Sie trainiert mehr als manche Profisportlerin, muss nebenher aber normal arbeiten und studiert auch noch. Wieso macht sie das? Eine persönliche Geschichte über Völlerei in Budapest, stolze Walliser Sponsoren und einen grossen australischen Traum.

«Um 6 Uhr morgens bin ich im Kraftraum. Damit es mir pünktlich zu Arbeit reicht. Abends, nach der Arbeit, gehe ich ins Kickbox-Training, jeden Tag. Am Freitag und Samstag steht mein Studium im Fokus. Und am Sonntag habe ich oft Wettkampf. 

“Die 300 Franken, die man für einen Weltcup-Sieg gewinnt, reichen halt nicht zum Leben aus. ”

Ich liebe Kickboxen. Ich liebe es, zu trainieren, zu kämpfen, auf ein Ziel hinzuarbeiten. Wenn ich etwas mache, dann richtig. Da passen mein Freund und ich gut zusammen, er gibt auch Vollgas, in seinem Job. Ich wünschte, ich könnte sagen, Kickbox sei mein Job, und da noch mehr Vollgas geben. Aber die 300 Franken, die man für einen Weltcup-Sieg gewinnt, reichen halt nicht zum Leben aus. Im Gegenteil, ich muss schauen, wie viele internationale Wettkämpfe ich mir pro Saison leisten kann. Auch ein WM-Titel würde finanziell nicht weiterhelfen: Als Siegprämie gibt’s die Rückerstattung der Kosten, die in der WM-Woche anfielen, Flug und Hotel und so, vielleicht 1500 Franken. Die Zweitplatzierte kriegt 50 % zurückerstattet.

Immenser Bewegungsdrang: Sarina Fux trainiert acht Mal die Woche (Bilder zvg).

Immenser Bewegungsdrang: Sarina Fux trainiert acht Mal die Woche (Bilder zvg).

Jedenfalls bin ich froh, ist mein Freund auch so absorbiert, so muss ich mich nicht rechtfertigen, dass ich wenig Zeit für ihn habe. Im Moment habe ich allerdings etwas mehr Zeit – leider. Ich habe mich verletzt, Kreuzbandriss, das ist recht schlimm für mich. Das Kickboxen fehlt mir viel mehr, als dass mich die zusätzliche freie Zeit freut. Wobei es schon schön ist, ein bisschen relaxter über die eigene Zeit zu verfügen zwischendurch, spontan Freunde zu treffen. Für Spontaneität bleibt sonst wenig Luft. Am Sonntagabend plane ich jeweils die neue Woche, Stunde für Stunde, mein Leben ist sehr durchgetaktet. Aber dieses Leben gefällt mir, mein Bewegungsdrang war schon immer immens.

Frühe Anreise für die tiefere Gewichtsklasse

Nicht nur meine Freizeit im Alltag, auch meine Ferien und mein Geld gehen zu einem grossen Teil fürs Kickboxen drauf. Jeden Herbst ist abwechselnd EM oder WM, eine Ferienwoche ist so bereits weg. Dazu kommen Trainingslager, und wenn ich für ein verlängertes Wochenende an einen internationalen Wettkampf reise, muss ich meistens auch ein, zwei Ferientage opfern. Zum Glück habe ich nun einen flexiblen Arbeitgeber, ich kann mir die Arbeitszeit gut selbst einteilen und auch remote arbeiten. Letzthin war ein Wettkampf in Budapest, da bin ich wegen dem Termin auf der Waage schon am Donnerstag angereist, obwohl der Wettkampf erst am Sonntag war. Aber ich konnte die Tage bis zum Wettkampf gut vor Ort arbeiten – und auch meinen Energiespeicher füllen.

Denn im Kickboxen läuft es so: Es gibt verschiedenste Gewichtsklassen, mein Normalgewicht zum Beispiel ist um die 57 Kilo. Damit ich am Wettkampf in der Gewichtsklasse bis max. 55 kg antreten kann, passe ich die Ernährung in den ein, zwei Wochen vor dem Wettkampf entsprechend an. Um dann, bei der Gewichtskontrolle am Wettkampf-Ort, unter die 55 kg zu kommen. In Budapest war es so, dass man sich schon am Donnerstag wägen lassen konnte für den Wettkampf-Sonntag. Ich hätte auch erst am Samstag anreisen können, aber dann wäre mir nach dem Gang auf die Waage kaum Zeit geblieben, wieder etwas an Masse zuzulegen. Denn am Wettkampftag selbst wird das Gewicht nicht mehr kontrolliert. So konnte ich mich während fast drei Tagen stärken und hatte damit einen Vorteil im Kampf. Beziehungsweise hätte ich einen Nachteil gehabt, weil das fast alle so machen. Wenn du dann mit 55 kg auf eine 59 kg schwere Gegnerin mit antrittst, bist du schnell in Rücklage. Das Erreichen der Gewichtslimite kann im Kickboxen aber durchaus einen Kraftakt und auch emotional eine Zusatzbelastung bedeuten.

Frühe Anreise gelohnt: Triumph für Sarina Fux am Weltcup-Wettkampf Budapest 2024.

Frühe Anreise gelohnt: Triumph für Sarina Fux am Weltcup-Wettkampf Budapest 2024.

“Ich stelle mich niemandem als Spitzensportlerin vor”

Ich betreibe diesen Sport akribisch, investiere viel für meinen Erfolg. Ich stelle mich aber niemandem als Spitzensportlerin vor. Ich bin einfach eine leidenschaftliche, ambitionierte Sportlerin in einem Sportverein, ich habe keine persönlichen Coaches, die mir zur Verfügung gestellt werden, es gibt keine professionellen Strukturen im Kickboxen, weil es kein Geld gibt. Aber Leidenschaft kostet kein Geld.

Die Bling-Bling-Illusion

Alles immer selbst zu organisieren, kostet aber Energie. Da blicke ich manchmal schon etwas neidisch auf Profiathletinnen. Wobei ich weiss: Mein Alltagsleben ist näher an der Realität der meisten Leistungssportlerinnen als das Bling-Bling-Leben der wenigen Stars. Es ist eine Illusion, dass viele komfortabel vom Sport leben können.

Grosser Erfolg, aber keine grosse Bühne: Bronzegewinn an der EM 2022 in der Türkei.

Grosser Erfolg, aber keine grosse Bühne: Bronzegewinn an der EM 2022 in der Türkei.

“Das hat etwas Reines, frei von jedem externen Druck.”

Und mir war immer klar, die grosse Bühne findest du in diesem Sport nicht. Auch an einer WM nicht. Weder Geld noch Ruhm können Motivation sein für den täglichen Effort. Wenn ich morgens um 5 Uhr aufstehe, um vor der Arbeit ins Fitness zu gehen, dann mach ich das wegen der Liebe zu meinem Sport und dem Ehrgeiz für den Erfolg. Das hat etwas Reines, frei von jedem externen Druck: Niemand sagt, du musst jetzt, niemand befiehlt, denn niemand zahlt. Ich kann jederzeit aufhören. Wenn ich nicht ins Training will, muss ich mich nicht einmal abmelden. Aber ich will halt immer. Und ich mache mir selbst genug Druck, das blockiert mich manchmal. Deshalb arbeite ich seit einer Weile auch mit einem Mentalcoach. Den ich natürlich auch selbst bezahlen muss.

Weil ich mit dem Sport so gut wie nichts verdiene, bin ich gezwungen, quasi voll zu arbeiten. Das hat den Vorteil, dass ich finanziell weniger am Limit laufe als viele junge Athletinnen, die als Halb- oder Ganzprofis oft am Existenzminimum leben. Ich kann dafür weniger in den Sport investieren, mir bleibt auch weniger Zeit für die wichtige Regeneration.

Extrawurst an der Fachhochschule

In den intensivsten Trainingsphasen im Herbst, bevor jeweils die EM oder WM stattfindet, kann ich in meinem jetzigen Job im Marketing bei der Firma Sensopro in Münsingen temporär von 80 auf 60 % reduzieren. Es ist ein Glück, als Sportlerin einen Arbeitgeber zu haben, der selbst im Sportumfeld tätig ist und viel Verständnis für die intensiven Bedingungen im Sport zeigt. Es interessiert eigentlich niemanden, wann genau, wo genau ich arbeite, solange ich meinen Job erledige. Im vorherigen Job musste ich täglich von meinem Wohnort Bern nach Brig pendeln, ohne Homeoffice-Optionen, das wurde selbst mir zuviel. In sportfremden Branchen ist die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Leistungssport nach wie vor eine grosse Herausforderung, das sehe ich auch bei Sport-Kolleginnen und Kollegen in meinem Umfeld.

Hobby oder Spitzensport? «Vielleicht etwas dazwischen», sagt Sarina Fux.

Hobby oder Spitzensport? «Vielleicht etwas dazwischen», sagt Sarina Fux.

“Wenn dann noch ein Studium dazu kommt, kann es richtig kompliziert werden.”

Wenn dann noch ein Studium dazu kommt wie bei mir, kann es richtig kompliziert werden. Ich studiere an der höheren Fachschule für visuelle Gestaltung in Bern, jeweils freitags und samstags, es herrscht strikte Anwesenheitspflicht. Das kommt mir nicht entgegen, ich konnte mir nun aber gewisse Sonderbewilligungen für Absenzen erkämpfen. Es war tatsächlich ein wenig ein Kampf, aber ich verstehe ja auch, dass für alle die gleichen Regeln gelten sollen. Andere haben vielleicht auch intensive Hobbies und können deswegen keine Sonderwünsche anmelden.

Wo genau liegt die Grenze zwischen Hobby und Leistungssport? Vielleicht liege ich irgendwo dazwischen. Immerhin habe ich drei, vier Sponsoren gefunden, da habe ich als gebürtige Walliserin einen Standortvorteil. Im Wallis kennt man sich, und man schafft es bei sportlichem Erfolg einfacher in die Zeitung als anderswo. Das wiederum hilft bei der Sponsorensuche. Für mich ist die Unterstützung sehr wertvoll, aber es sind Beiträge, über die andere vielleicht schmunzeln würden. Kickboxen bleibt Kickboxen.

Ein Szenario gibt es allerdings, das alles verändern würde. Der Olympia-Traum. Für Los Angeles 2028 war Kickboxen auf der Longlist der möglichen neu ins Programm aufzunehmenden Sportarten, leider hat es nicht gereicht. Die nächste Gelegenheit gibt es für 2032 im australischen Brisbane. Es wäre meine letzte Chance, ich rechne nicht damit. Sollte Kickboxen dann tatsächlich ins olympische Programm rutschen – ich würde alles unternehmen, um dabei zu sein. Und das Hobby zum temporären Beruf machen.»

Aufgezeichnet von Pierre Hagmann, Medienteam Swiss Olympic

Die beste Kickboxerin der Schweiz

Sarina Fux ist die erfolgreichste Schweizer Kickboxerin. Mit 17 erst begann sie mit dem Kampfsport, heute trainiert sie im Club Nippon Bern sowie teilweise im Starforce Brig und ist sechsfache Schweizermeisterin, international gewann sie zudem 4 Europacup-, 5 Weltcup-Titel und die Bronzemedaille an der EM 2022 in der Türkei. Beim Kickboxen werden Elemente des konventionellen Boxens mit Schlagtechniken aus Kampfsportarten wie Karate oder Taekwondo verbunden. Es gibt diverse Disziplinen, Sarina Fux ist im Leichtkontakt aktiv, das auf Matten ausgetragen wird, in Abgrenzung zum Vollkontakt im Ring etwa.

Athlete Hub von Swiss Olympic: Kostenfreie Beratung für Athletinnen und Athleten

Der Athlete Hub von Swiss Olympic unterstützt Athletinnen und Athletinnen auch in Fragen zur Vereinbarkeit von Beruf, Ausbildung und Sport mit spezifischen, kostenfreien Beratungsangeboten: Swiss Olympic - Athlete Hub